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In Deutschland diskutiert man nicht mehr über Religion. Kaum jemand glaubt noch an die “Auferstehung des Fleisches”, und doch sollen die Kirchgänger das als ihren Glauben bekennen. Dass die Pfarrer damit in jedem Gottesdienst zur Lüge auffordern, stört niemanden - auch nicht, dass Prinzipien wie die folgenden bis heute gültiges katholisches Kirchengesetz sind:
–– Wenn jemand behauptet, der Mensch dürfe jede Religion annehmen, die er als wahr erachtet - der sei verflucht. (Pius IX., Syllabus errorum, Satz 15)
–– Wenn jemand behauptet, kraft eines Zivilvertrages könne auch unter Christen eine wahre Ehe bestehen - der sei verflucht. (Syllabus, Satz 73)
–– Wenn jemand behauptet, die Kirche habe kein Recht und keine Macht, Gewalt anzuwenden - der sei verflucht. (Syllabus, Satz 24)
Solange die Kirche die Macht dazu hatte, bedeutete dieses “verflucht” (“anathema sit”) die Verbrennung als Ketzer. An dieser Sicht hat sich im Prinzip nichts geändert. Der Katholizismus war und ist im Kern eine aggressive, zutiefst intolerante Religion - allerdings eine, deren gewalttätige Phase in der Vergangenheit liegt. Vergleicht man den “Syllabus” mit dem Koran, so zeigt sich: wie der Katholizismus ist auch der Islam im Kern eine aggressive, zutiefst intolerante Religion. Doch kann man angesichts der blutigen Anschläge vom World Trade Center bis zum Breitscheidplatz ernsthaft sagen, die gewalttätige Phase des Islam sei gleichfalls Vergangenheit?
Darum erstaunt der jüngst von Thomas Haldenwang vorgestellte Verfassungsschutzbericht 2019. Er führt zwar viele Gruppen rechtsextremer, linksextremer und islamistischer Gefährder auf. Doch er verschweigt die schlimmsten Fälle realer Bedrohung, die es derzeit hierzulande gibt: dass Menschen wie Hamed Abdel-Samad wegen ihrer frei geäußerten Meinung mitten in Deutschland an geheimen Orten leben müssen und sich nur mit Polizeischutz in die Öffentlichkeit wagen können.
Wie viele solcher Fälle gibt es? Das verschweigt der Bericht. Wer bedroht diese Menschen? Auch das verschweigt der Bericht. Wirklich salafistische Extremisten? Aber stammt der Aufruf, z.B. Hamed Abdel-Samad zu ermorden (oder Salman Rushdie, oder Kurt Westergaard) nicht vielmehr von der höchsten islamischen Geistlichkeit - also vom Islam als Religion?
Es gehört zur Tragik der deutschen Demokratie, dass jene Pfarrerstochter, die später Bundeskanzlerin wurde, aufgrund ihrer DDR-Erfahrungen offenbar meinte, alle Religionen seien gut. Nur so ist ihr herzliches Willkommen erklärbar, das sie auch dem Islam entgegenbrachte - einer Religion, deren heilige Schrift sowohl die Zweitrangigkeit der Frau als auch hundertfach den Hass auf Andersgläubige predigt.
Deshalb ist es lehrreich, sich an die Auseinandersetzungen zu erinnern, die vor 150 Jahren um Papsttum und Unfehlbarkeit geführt wurden. Dies war das letzte Mal, dass in ganz Europa intensiv über Religion diskutiert wurde. Doch einen Tag nach der Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas brach der deutsch-französische Krieg 1870-71 aus. Dieser Krieg beendete nicht nur den Kirchenstaat, sondern auch die Diskussion über Glaubensfragen - über die Dogmen ebenso wie über die Verbrechen, die daraus erwuchsen, etwa Hexenverbrennung und Inquisition. Dogmen und Verbrechen, die endgültig zementiert und gutgeheißen wurden, als Pius IX. am 18. Juli 1870 das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit verkündete:
"Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Wer sich - was Gott verhüten möge - herausnehmen sollte, dieser unserer endgültigen Entscheidung zu widersprechen, der sei verflucht (anathema sit)."
Kann es eine größere Anmaßung geben? Auch Katholiken finden die Behauptung, ein Mensch könne in Glaubensfragen unfehlbar sein, also Gottes Willen kennen, fast ausnahmslos lächerlich. Selbst wenn es diesen Gott wirklich gäbe: Warum sollte er einem römischen Oberpriester eine Allwissenheit schenken, die nicht einmal sein Sohn Jesus hatte? Jesus, der seine Fehlbarkeit in Glaubensfragen mit der Ankündigung "Das Reich des Himmels ist nahe herbeigekommen" unübersehbar unter Beweis stellte?
Man könnte es lustig finden, dass die katholische Kirche sich mit dem Unfehlbarkeitsdogma unentrinnbar im eigenen Netz ihrer Lehrmeinungen verfangen hat. Aber das wird der Sache nicht gerecht. Zwar hat die Kirche heute viele ihre Anmaßungen zähneknirschend zurückgestellt. Doch dass sie diese nie aufgegeben hat, zeigt sich z.B. da, wo katholische Einrichtungen geschiedene und wiederverheiratete Angestellte entlassen.
Es ist an der Zeit, wieder intensiver über Religion zu reden, und darüber, dass die Götter der Religionen ausnahmslos ausgedachte Götter sind. Selbst wenn wir so tun, als sei Glaube Privatsache - die Amtskirchen waren und sind weit davon entfernt, das ebenso zu sehen. Wie vor 150 Jahren müssen wir fragen: Sind alle Religionen gut? Oder anders gefragt: Selbst wenn wie bei Jesus eine religiöse Idee gut und menschenfreundlich, also "göttlich" ist - sind nicht Amtskirchen und Kirchenfürsten, die sich als Herren dieser Idee aufspielen, im theologischen Sinne eher etwas Teuflisches? So wie Luther es meinte, als er seine letzte Schrift "Wider das Papsttum, vom Teufel gestiftet" nannte? Und gilt das nicht erst recht für eine Religion wie den Islam, deren heilige Schrift in über hundert Textstellen die Verachtung Andersgläubiger lehrt, und deren höchste Würdenträger zur Ermordung kritischer westlicher Intellektueller aufrufen?
Außerdem: Warum werden Bischöfe nicht von der Kirchensteuer bezahlt, sondern vom Staat, und damit auch von denen, die aus der Kirche austraten oder nie drin waren? Warum gibt es an unseren Universitäten immer noch theologische Fakultäten, obwohl Forschung und Lehre dort ebenso unfrei und durch Dogmen gefesselt sind wie die Pfarrer, die sie ausbilden? Ist es nicht längst an der Zeit, endlich den Staat von den Kirchen und die Kirchen vom Staat zu befreien?
In diesem Sinne hier nun die Dokumentation des 1. Vatikanischen Konzils, von der Einladung bis zur Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas. Die Original-Zeitungsartikel* erschienen 1868 bis 1870 in den "Berlinischen Nachrichten", damals Berlins auflagenstärkste Zeitung.
Berlin, im Juli 2020 Hanjo Lehmann
Weiter im Kapitel: Vor dem Konzil
*: Viele dieser Artikel finden sich auch in meinem Roman “Die Truhen des Arcimboldo” (Rütten & Loening, 1995)
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