Pius IX-B

Papst Pius IX.

Unfehlbar - Ue

Pius IX. und Kirchenstaat
Berlinische Nachrichten Kopf

Vor dem Konzil: Päpstliche Einladung / Begleitumstände /  Diskussion / Vermischtes
Konzil der Unfehlbarkeit: Eröffnung / Majoritäten / Wut auf die Presse / Geschäftsordnungstricks / Vermischtes
Schluss der Debatte:  Der Angelpunkt / Kriegsdrohungen / Pius IX. am Ziel
Nach dem Dogma der Krieg: Kriegserklärung / Der Krieg / Das Ende des Kirchenstaates

Vorgeschichte: Der Kirchenstaat, die DDR Italiens / Pius IX.: Erst Reformator, dann Reaktionär
Texte 1: Enzyklika Quanta cura
Texte 2: Syllabus errorum
Texte 3: Die 245 katholischen Dogmen
Koran vs. Katholizismus: ein Vergleich

Kirchenstaat 1868: Die DDR Italiens

Kirchenstaat vor 1870

Als Pius IX. zum Konzil in den Vatikan lud, war er nicht nur Papst, also geistliches Oberhaupt der katholischen Kirche. Er war auch das weltliche Oberhaupt des Kirchenstaates, der seine Gründung auf die (gefälschte) konstantinische Schenkung im Jahr 317 und die pippinische Schenkung im Jahr 754 zurückführte.
    1868 war der Kirchenstaat mit einer Fläche von 32.000 Quadratkilometern etwa so groß wie Belgien. Mit einer Bevölkerung von ca. 400.000 - davon ca. 200.000 in Rom - hatte er kaum mehr als die halbe Einwohnerzahl von Berlin, wo damals ca. 700.000 Menschen lebten. Er war ein rückständiger, korrupter Polizeistaat, in dem es von Spitzeln und Zuträgern wimmelte. Nördlich und südlich dieses Staates gaben Garibaldis Freischärler, die Italien vereinigen wollten, den Ton an. Dass der Kirchenstaat überhaupt noch existierte, verdankte er einzig den dort stationierten französischen Schutztruppen.
    Man kann sagen: Der Kirchenstaat war die DDR Italiens. Pius IX. mit seinem Gemisch aus Borniertheit und Größenwahn war der Honecker des Kirchenstaates, und der 18. Juli 1870, an dem er das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit verkündete, war der 9. November dieses Ländchens.
    Am Tag darauf erklärte Frankreich Preußen den Krieg. Die schnelle französische Niederlage 1870-71 führte wenige Wochen nach dem Abzug der Franzosen aus Rom auch zum Untergang des Kirchenstaates. Hier die entsprechenden Artikel aus den “Berlinischen Nachrichten”:

Paris, 28. Juli 1870. [Räumung Roms von den Franzosen.] Der Befehl zur Abberufung der französischen Soldaten aus Rom ist von Napoleon erteilt worden. Frankreich braucht alle seine Soldaten, und das römische Besatzungs-Corps muss vor dem 15. August in Frankreich sein. Der König von Italien wird den Schutz des Papstgebietes übernehmen. Der Papst hat übrigens keinen Aufschub der Maßregel verlangt.

Rom, 12. August 1870. [Die Verteidigung Roms.] Angesichts des Abzuges der französischen Schutztruppen aus Rom beeilt sich die päpstliche Regierung, das Mögliche zu ihrer Verteidigung zu tun. Der Waffenminister des Kirchenstaates hat 25.000 Fr. für die Wiederherstellung der Barricaden vor den Toren Roms ausgesetzt und beschlossen, sämtliche Truppenkörper, welche sich gegenwärtig in der Provinz aufhalten, in der Hauptstadt zu concentrieren.

Florenz, 18. September 1870. [Der Einmarsch in den Kirchenstaat.] Am 11. September erteilte König Victor Emanuel den Befehl, dass seine Truppen in den Kirchenstaat einrückten. Sogleich erhob sich die Bevölkerung von Viterbo (im nördlichen Teil des Kirchenstaates) unter dem Ruf "Es lebe Italien"; Jubel und Demonstrationen gab es auch in Terracina, im Süden des Kirchenstaates.
    Angeblich geschieht der Einmarsch um der Ordnung willen und zum Schutze des Papstes. Allerdings hat Pius IX. vor dem diplomatischen Corps der Hauptstadt gegen solche zudringliche Freundschaft feierlich protestiert. Es wird ihm wenig helfen, denn er hat es auf dem Concil mit allen Staaten verdorben.
    Und die Concilsmajorität, die unzähligen Bischöfe des Kirchenstaates? Hatten sie gar keinen Anhang sich erworben bei der Bevölkerung, die jetzt jubelnd den Italienern entgegenzieht? Es ist ein Schauspiel zum Erbarmen: dass diese Hunderte von Bischöfen, welche die Welt lehren wollten, was zu tun und zu glauben sei, heut von ihren Gemeinden elendiglich verlassen sind.

Rom, 20. September 1870. [Rom ist genommen!] Nach einer etwa fünfstündigen Beschießung war die erste Bresche eröffnet; die Infanterie des Generals Cosenz war zuerst in der Stadt. In der Straße Pia bis zum Quirinal herrschte ungeheurer Jubel, die Soldaten wurden mit Viva l'Italia, viva Roma capitale! begrüßt.

Rom, 7. October 1870. [Das Ende des Kirchenstaates.] Im Plebiscit vom 2. October haben von den 167.548 stimmberechtigten Einwohnern des Kirchenstaates 133.681 "für die Vereinigung mit dem Königreich Italien unter der monarchisch-constitutionellen Regierung des Königs Victor Emanuel II. und seiner Nachfolger" gestimmt, 1507 dagegen. Für den Papst ist es ein schwerer Schlag, dass nicht einmal 2 von hundert seiner früheren Untertanen ihm die Treue hielten.
    Den Quirinalpalast, die Residenz vieler Päpste seit drei Jahrhunderten, wird König Victor Emanuel beanspruchen, nachdem Rom wieder zur italienischen Hauptstadt erklärt ist. Somit ist der Papst beschränkt auf ein kleines Areal, welches in Rom wenig mehr als St. Peter und die Engelsburg einschließt. In diesem Gebiet soll dem Heiligen Stuhl jedoch territoriale Immunität gewährt werden.

Rom, 24. November 1870. [Encyclica.] In der neuesten Encyclica Pius' IX. heißt es u.a.:
    "Eine ungeheuerliche Freveltat, die Euch, ehrwürdige Brüder, sicherlich zur Kenntnis gekommen ist, können Wir hier nicht übergehen. Als ob nämlich Besitz und Rechte des apostolischen Stuhles, die durch Kraft so vieler Rechtsmittel heilig und unverletzlich sind und durch so viele Jahrhunderte immer für klar und unerschütterlich gehalten wurden, streitig gemacht werden könnten, und als ob die schweren Kirchenstrafen, die ohne weiteren Spruch die Verletzer jener Rechte und Besitztümer treffen, durch einen Volksaufstand und durch Frechheit ihre Geltung verlieren könnten, suchte man, um die Beraubung, die wir erlitten, ehrlich zu machen, mit Beseitigung des allgemeinen Natur- und Völkerrechts jenen Spiegelfechter-Apparat einer Volksabstimmung hervor, der schon in den anderen Uns entrissenen Provinzen angewendet worden war.
    Und diejenigen, welche Freude am Schlechtesten haben, schämten sich bei dieser Gelegenheit nicht, die Auflehnung und die Verachtung der Kirchenstrafen durch die Städte Italiens wie im Triumphe zur Schau zu tragen, gegen die wahre Gesinnung des bei Weitem größten Teils der Italiener, deren religiöse Gesinnung, Ergebenheit und Treue gegen Uns und die heilige Kirche auf vielfältige Weise an ihrer freien Entfaltung gehindert wird.
    Wir erklären überdies und bezeugen vor Gott und der ganzen katholischen Welt, das Wir Uns in einer derartigen Gefangenschaft befinden, dass Wir Unser oberstes Hirtenamt sicher, leicht und frei durchaus nicht ausüben können.
    Gehorsam endlich jener Mahnung des heiligen Paulus: "Welche Gemeinschaft hat die Gerechtigkeit mit der Bosheit, wie gesellt sich das Licht zur Finsternis, wie stimmt Christus mit Belial?" (2. Cr. VI, 14,25), erklären Wir laut und öffentlich, dass Wir eingedenk Unseres Amtes und des feierlichen Eides, der Uns verpflichtet, zu keinem Vergleich willigen und beistimmen werden, der auf irgend eine Weise Unsere und ebenso Gottes und des heiligen Stuhles Rechte vernichtet oder mindert, und ebenso erklären Wir Uns bereit, mit Gottes Hilfe in Unserem hohen Alter bis zur Hefe für die Kirche Christi den Kelch zu leeren, den er selbst zu leeren sich für sie herabließ, und niemals den ungerechten Forderungen, die Uns geboten werden, beizutreten oder sie zu unterstützen.
    Da aber Unsere Ermahnungen, Aufforderungen und Proteste vergeblich waren, so erklären Wir kraft der Autorität des allmächtigen Gottes, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und Unserer eigenen, Euch, ehrwürdige Brüder, und durch Euch der ganzen Kirche, dass alle Jene, mögen sie in irgend welcher, auch der speciellsten Erwähnung werten Würde glänzen, welche die feindliche Überschwemmung, Wegnahme und Besetzung irgend welcher Provinz Unseres Landes und dieser erhabenen Stadt vollbracht oder daran Teil genommen, ebenso deren Auftraggeber, Begünstiger, Helfershelfer, Rathgeber, Anhänger und alle Anderen, welche die Ausführung besagter Anschläge unter irgend einem Vorwand, auf irgend welche Weise veranlassten, oder selbst ausführten, dem großen Kirchenbann und den anderen Kirchenstrafen, die durch die heiligen Canones, die apostolischen Constitutionen und die Beschlüsse der allgemeinen Kirchen-Versammlung, namentlich der zu Trient (22. Sitzung C. 11 de. Ref.), verhängt sind, verfallen seien nach Inhalt und Wortlaut Unseres oben erwähnten apostolischen Schreibens vom 26. März 1860.
    Wir erklären auf die feierlichste Weise abermals vor Euch, ehrwürdige Brüder, dass es Unser Sinn, Vorsatz und Wille sei, Besitzungen und Rechte des heiligen Stuhles ungeschmälert ganz und unverletzt zu erhalten und Unseren Nachfolgern zu überliefern, dass jedwede Anmaßung jener Besitzungen und Rechte, sowohl die jetzige als die früher geschehene, ungerecht, gewalttätig, null und nichtig sei, und dass alle Handlungen der Feinde und Eindringlinge, die zu irgend welcher Bekräftigung jener Usurpation bisher geschehen sind und noch künftig geschehen werden, von Uns auch für jetzt und künftig verworfen, vernichtet und für ungültig erklärt werden. [Eine leichter verständliche Kurzfassung dieses Artikels siehe Kapitel “Nach dem Dogma: Krieg”]

Danach zog sich Pius IX. in den Vatikan zurück und verbrachte den Rest seines Lebens bis 1878 im Schmollwinkel. Sich selber sah er als “Gefangener im Vatikan”.

Pius IX.:
Erst Reformator, dann Reaktionär

Die “Berlinischen Nachrichten” stellten den Papst wie folgt vor:.

Rom, 14. April 1869. [Der Papst.] Anlässlich der am Sonntag celebrierten Secundizfeier des Papstes (d. i. die Feier seines 50-jährigen Priesterjubiläums) werden einige biographische Daten über denselben von Interesse sein.
    Pius IX. zählt jetzt fast 77 Jahre. Er wurde geboren am 13. Mai 1792; sein früherer Name war Josef Maria Graf von Mastai-Feretti. Aufgrund einer Epilepsie konnte er nicht in den Militärstand treten, worauf er sich dem geistlichen Berufe widmete. Am 11. April 1819, einem Ostersonntage, las er seine erste Messe. Im Jahre 1823 schloss er sich der Mission nach China an; 1825 kehrte er zurück und wurde von Leo XII. zum Erzbischof von Spoleto (1827), dann von Gregor XVI. zum Erzbischof von Imola (1832) und 1840 zum Cardinal erhoben. Am 16. Juli 1846 wurde er zum Papste gewählt und nahm den Namen Pius IX. an.
    Seine ersten Schritte schienen eine neue Zeit zu verkünden; er begann seine Regierung mit einer umfassenden Amnestie und stellte Reformen in Aussicht. Diese Reformen förderten die nationale und freiheitliche Bewegung in ganz Italien, was wohl nicht in der Absicht des Papstes lag, denn es stellte sich bald ein Wechsel ein. Die Verfassung vom März 1848 war schon eine abgezwungene, und das weltliche liberale Ministerium nur eine Concession. Die Volksbewegungen vom November 1848, die Ermordung seines Ministers Rossi (15. November), das am folgenden Tage durch einen Aufstand ihm abgezwungene demokratische Ministerium, machten die Kluft zwischen Pius IX. und dem Liberalismus unüberwindlich.
    Am 25. November flüchtete Pius IX. verkleidet aus Rom nach Gaeta. Die kurze Episode demokratischer Herrschaft in Rom fand bald ein Ende; im Juli 1849 besetzten die Franzosen nach heftigem Kampfe die ewige Stadt. Pius kehrte erst am 12. April 1850 nach Rom zurück, und führte mit geringen Modificationen das alte Regiment wieder ein.
    Zu den kirchlichen Maßnahmen, die während seiner Regierung durchgeführt wurden, gehören vor allem das Dogma der unbefleckten Empfängnis, sowie der Erlass der Encyclica und des Syllabus vom 8. December 1864. Die Allocution zur religiösen Frage in Österreich vom 22. Juli 1868 und die Berufung des ökumenischen Concils auf den 8. December 1869 sind die beiden letzten Emanationen Pius IX.

 

Was das Dogma der “unbefleckten Empfängnis Mariä” (“Conceptio immaculata”) bedeutet, wissen die wenigsten. Protestanten denken meistens, damit sei Marias Jungfräulichkeit gemeint, will sagen, dass sie Jesus allein durch den Heiligen Geist und ohne Zutun durch Joseph empfangen habe. Tatsächlich bedeutet es aber, dass bereits Marias Mutter ihre Tochter “ohne Erbsünde” empfangen haben soll - was auch immer damit gemeint sein mag.
    In der Bibel gibt es dafür nicht die Spur eines Hinweises. Die Rolle von Maria ist dort marginal; es finden sich nicht einmal die Namen ihrer Eltern. Überdies waren Dogmen bis dahin allgemein auf Konzilen festgelegt worden. Offenbar war der Alleingang des Papstes in dieser Frage eine Art Versuchsballon, um zu testen, wie weit er gehen konnte.
    Am 8. Dezember 1854 verkündete Pius IX. in seiner Bulle “Ineffabilis Deus” (“Der unaussprechliche Gott”) diese seltsame Dogma:

”Zur Ehre der Heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, zur Zierde und Verherrlichung der jungfräulichen Gottesgebärerin, zur Erhöhung des katholischen Glaubens und zum Wachstum der christlichen Religion, in der Autorität unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und der Unseren erklären, verkünden und bestimmen Wir in Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und in Unserer eigenen: Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben. Wenn sich deshalb jemand, was Gott verhüte, anmaßt, anders zu denken, als es von Uns bestimmt wurde, so soll er klar wissen, dass er durch eigenen Urteilsspruch verurteilt ist, dass er an seinem Glauben Schiffbruch litt und von der Einheit der Kirche abfiel, ferner, dass er sich ohne weiteres die rechtlich festgesetzten Strafen zuzieht, wenn er in Wort oder Schrift oder sonstwie seine Auffassung äußerlich kundzugeben wagt.”

Natürlich protestierten die Protestanten. Doch der Widerspruch unter Katholiken hielt sich in Grenzen. So konnte Pius IX. zu einem Rundumschlag gegen alle “modernistischen” Tendenzen  ausholen, die er in Theologie, Philosophie, Politik und Gesellschaft seiner Zeit feststellte, und in denen der das ganze Übel seiner Zeit verkörpert sah.
    Das geschah mit seinem infamen “Syllabus errorum”, der “Sammlung der Irrtümer”. Formal gesehen war sie ein Anhang zur Enzyklika “Quanta Cura”. Pius IX. verkündete sie 1864, und zwar wieder am 8. Dezember - genau 10 Jahre nach dem Marien-Dogma.

Der Text der Enzyklika findet sich im Teil “Texte 1: Enzyklika Cuanta cura”

Die “Sammlung der Irrtümer” findet sich im Teil “Texte 2: Syllabus errorum”

Weitere 5 Jahre später, wieder am 8. Dezember, sollte 1869 das Konzil beginnen. Von ihm erwartete sich Pius IX. die Auslöschung aller Übel und die Wiederherstellung eines apostolischen Glanzes, den es in der Realität nie gegeben hatte. Wie diese Webseite zeigt, gelang es ihm mit allen möglichen Tricks und Täuschungen, das Dogma der päpstlichen - also seiner - Unfehlbarkeit vom Konzil beschließen zu lassen.
    Und danach?
    Der Widerstand gegen das Dogma ließ in der katholischen Kirche schnell nach. Der Grund dafür ist klar: In den Lehrinhalten des Katholizismus (siehe:
Die 245 Dogmen) wimmelt es nur so von philosophischen Absurditäten. Da machte auch die Anmaßung päpstlicher Unfehlbarkeit den Kohl nicht fett.
    Die langjährigen Untertanen dieses Papstes vergaben ihm nicht so schnell. Die Webseite “Katholisch.de” schreibt über das Ende von Pius IX.:
   
“Im Februar 1878 starb Mastai-Ferretti, trotz seines hohen Alters von fast 86 Jahren überraschend. Gemäß seinem Wunsch wurde er in der Kirche San Lorenzo fuori le Mura beigesetzt - und hatte doch Glück, dass er nicht bei seiner Überführung 1881 von einem römischen Pöbel in den Tiber geworfen wurde. Die junge Republik hatte mit dem hartnäckigen Verteidiger des Kirchenstaates noch lange keinen Frieden gemacht.”

Doch in Rom ist es üblich, dass jeder Papst, der keine Kinder geschlachtet oder Novizen vergewaltigt hat, selig gesprochen wird. So auch Pius IX.: Am 3. September 2000 sprach ihn sein Nachfolger Johannes Paul II. selig mit den Worten:

“Im Kontext des Jubiläumsjahres nehme ich mit tiefer Freude die Seligsprechung von zwei Päpsten, Pius IX. und Johannes XXIII., vor.
    Als wir die Worte des Hallelujarufs vor dem Evangelium: »Herr, … leite mich auf ebner Bahn…« (Ps 27,11) hörten, gingen die Gedanken unmittelbar zur menschlichen und religiösen Lebensgeschichte von Papst Pius IX., Giovanni Maria Mastai Ferretti, zurück. Inmitten der turbulenten Ereignisse seiner Zeit war er ein Vorbild für das bedingungslose Festhalten am unveränderlichen Erbe der offenbarten Glaubenswahrheiten. ... er wurde von vielen geliebt, von anderen aber wurde er gehaßt und verleumdet.
    Doch gerade inmitten dieser Gegensätze vermochte das Licht seiner Tugenden am hellsten zu erstrahlen ... Denen, die ihm nahestanden, pflegte er zu sagen: »In den menschlichen Dingen muß man sich damit begnügen, das Bestmögliche zu tun, und ansonsten muß man sich der Vorsehung überlassen, die die Mängel und Unzulänglichkeiten des Menschen ausgleicht.«
    Von dieser inneren Überzeugung getragen, berief er das I. Vatikanische Konzil ein, das mit lehramtlicher Autorität einige damals umstrittene Fragen klarstellte und die »Harmonie« von Glauben und Vernunft bestätigte. In Zeiten der Prüfung fand Pius IX. Unterstützung bei Maria, die er sehr verehrte. Durch die Verkündung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis erinnerte er alle daran, daß in den Wechselfällen des menschlichen Daseins in Maria das Licht Christi leuchtet, der stärker ist als Sünde und Tod.”

Es fällt auf, dass Johannes Paul II. in seiner Seligsprechung das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit mit keinem Wort erwähnte - wie denn überhaupt die katholische Kirche dieses Dogma nach Kräften verschweigt. In den 150 Jahren seiner Existenz ist es auch nur ein einziges Mal in Anspruch genommen worden - bezeichnenderweise wieder bei einem besonders absurden Dogma, nämlich dem der “leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel”. Pius XII. verkündete es 1950 mit dem Wortlaut:

„Wir verkünden, erklären und definieren es als ein von Gott geoffenbartes Dogma, dass die Unbefleckte, allzeit jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Ablauf ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde.“

Seitdem grübeln Gläubige, Theologen und Naturwissenschaftler, wie man sich das vorstellen soll. Besagt nicht Nr. 18 der 245 Dogmen: “Gott ist unermesslich und absolut raumlos”? Wo also hält sich der Leib Mariens jetzt auf? Gehören zum “Leib” nicht auch dessen Funktionen, also Atmung, Verdauung, Ausscheidung? Kann im Himmel nicht nur die Seele, sondern auch der leibliche Mund sprechen? Rätsel über Rätsel, aber so ist es nun einmal: das ewige Geheimnis des Glaubens.

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